Vor wenigen Tagen sprach Steinmeier in seiner Eigenschaft als Bundespräsident und Repräsentant unseres Landes in Jerusalem im Holocaus Mahnmal Yad Vashem. Wie es heißt, sprach er in Englisch, weil Deutsch die Sprache der Täter sei.
Steinmeier darf ja gerne als Privatperson seine Gefühle zum Ausdruck bringen aber uns allen, die wir Deutsch sprechen, eine Schuld aufzuerlegen, dazu dürfte er weder berechtigt sein noch ist seine Sichtweise logisch. Ist es Aufgabe eines Bundespräsidenten zu spalten und Ressentiments zu schüren?
Ein brillianter Gastbeitrag von Hubert von Brunn bringt es auf den Punkt.
Mit der „historischen Schuld“, von der Steinmeier sprach, habe ich nichts zu tun
Von Hubert von Brunn, Januar 28, 2020
Allenthalben wird dieser Tage der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee vor 75 Jahren gedacht. Das ist gut und richtig. Die von den Nazis begangene Barbarei soll nicht in Vergessenheit geraten und immer daran gemahnen, dass derartige Verbrechen nie wieder geschehen dürfen. Für diese Verantwortung des Nicht-Vergessens stehe ich gern ein. Aber Schuld?
Vor wenigen Tagen durfte Bundespräsident Frank Walter Steinmeier als erstes deutsches Staatsoberhaupt anlässlich einer Feierstunde in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem eine Rede halten. Sicherlich keine leichte Aufgabe und für ihn zugleich eine große Ehre. Viele Aussagen in Steinmeiers Rede sind nicht zu beanstanden: Trauer für die Opfer und die Hinterbliebenen, das Streben nach Versöhnung und der Appell an die unverbesserlichen Judenhasser: „Nie wieder!“ – Diesen Statements wird eine große Mehrheit der Deutschen vorbehaltlos zustimmen. Problematisch wird es, wenn er von der „großen historischen Schuld“ spricht, und zwar explizit in seiner Eigenschaft als „deutscher Präsident“. Damit bringt er zum Ausdruck, dass er diese Schuld gewissermaßen für das ganze Volk, das er repräsentiert, auf seinen Schultern trägt.
Schuld kann niemals kollektiv, sondern immer nur persönlich sein
Ich bin kein Jurist, aber ich habe in meinem langen Reporterleben auch so manchem Gerichtsprozess als Berichterstatter beigewohnt. Dabei habe ich gelernt, dass Schuld immer die individuelle Vorwerfbarkeit eines Verhaltens ist. Somit kann Schuld – genauso wie Unschuld – niemals kollektiv sein, sondern immer nur persönlich. Diesem Grundgedanken folgt ja auch das von unseren Gerichten praktizierte Prinzip der Unschuldsvermutung: in dubio pro reo. Jeder Angeklagte ist so lange unschuldig, bis ein unabhängiges Gericht seine Schuld zweifelsfrei nachgewiesen und ein Richter dem entsprechend sein Urteil gefällt hat. Erst dann ist er schuldig, darf Täter, Mörder, Vergewaltiger, Verbrecher… genannt werden. Und zwar nur er, nicht seine Frau, seine Kinder, seine gesamte Familie. Die Sippenhaft wurde von den Nazis praktiziert und auch von der Stasi – in unserem Rechtssystem ist dieses Instrument der kollektiven Vergeltung nicht vorgesehen.
An der Stelle muss ich persönlich werden. Geboren 1952 habe ich mit den Verbrechen der Nazis nichts, aber auch gar nichts zu tun. Und selbst wenn es die Sippenhaft noch gäbe, müsste ich exculpiert werden, denn niemand in meiner Familie war Parteigänger der NSDAP. Mein Vater, Jahrgang 1920, wurde mit 18 zum Wehrdienst eingezogen, hat den Krieg als niedriger Dienstgrad bei der Marine überlebt und anschließend zwei Jahre Gefangenschaft bei den Briten. Meine Eltern lebten auf dem Land in Süddeutschland und von der systematischen Vernichtung der Juden in Konzentrationslagern haben sie, wenn überhaupt, erst sehr spät etwas mitbekommen. Aktiv mitgewirkt hat aus meiner Sippe jedenfalls keiner und im Nachhinein gebilligt hat es, so weit ich mich erinnern kann, auch niemand. Und ich? Wo ist meine „historische Schuld“, Herr Steinmeier? Wie lautet die Anklage, gegen die ich mich verteidigen kann? Reicht es schon aus, in dieses Land hinein geboren zu werden, um von Generation zu Generation schuldbeladen durchs Leben gehen zu müssen – bis in alle Ewigkeit?
Die Taufe hat mich von der katholischen „Erbschuld“ erlöst
Als Katholik bin ich ja schon mit der Erbschuld auf die Welt gekommen. Kaum dass ich den ersten Schrei getan habe, war ich schon schuldbeladen. Aber die katholische Kirche ist immerhin so gnädig, dass man sich mit dem Sakrament der Taufe von dieser Erbschuld befreien kann. Dieses mystische Konstrukt ist schon schlimm genug, doch es gibt immerhin einen Ausweg. Bei der von Steinmeier beschworenen „historischen Schuld“ gibt es offenbar kein Entrinnen. Hier heißt es: Asche auf mein Haupt, so lange ich lebe. Und für meine Nachkommen, für die der Holocaust irgendwann einmal so weit weg sein wird wie die Kreuzzüge – hat man da die Schuldigen eigentlich schon alle gefunden? – gilt das genauso. Es tut mir leid, Herr Präsident, aber da mache ich nicht mit. Wenn Sie sich für das Unheil, das die Nazi-Schergen angerichtet haben, schuldig fühlen wollen, bitteschön. Sie dürfen sich auch der „Gnade der späten Geburt“ erfreuen und Ihre Vorfahren haben als Bauern die Nazizeit offensichtlich auch überstanden, ohne sich schuldig zu machen. Woher also dieser Masochismus? Hat das mit dem Amt zu tun? – Ich weiß es nicht.
Putin spricht Wahrheiten aus, die den Polen nicht gefallen
Abgesehen von der Schuld-Rede unseres Bundespräsidenten bei der Yad-Vashem-Feier war ja auch noch das Scharmützel zwischen Russland und Polen von Interesse. Polens Präsident Andrzej Duda war den Feierlichkeiten fern geblieben, weil für ihn keine Redezeit vorgesehen war. Da haben die Israelis den für ihre Geschichtsklitterung bekannten Polen dankenswerter Weise einen Riegel vorgeschoben. Wladimir Putin hat stattdessen die Gelegenheit genutzt, ein paar Wahrheiten klar zu stellen. Der Hitler-Stalin-Pakt allein, so Putin, sei nicht maßgeblich für den Beginn des Zweiten Weltkriegs und den Holocaust gewesen. Auch Polen trage eine Mitschuld, habe mit Hitler gekungelt und viele Juden auf dem Gewissen. In den KZ hätten nicht nur Nazis gedient, sondern auch Angehörige anderer Nationen. – Hier hat Putin ausgesprochen, was nach wie vor für viele Asche-auf-mein-Haupt-Deutsche ein „no go“ ist und für die Polen ein unverzeihlicher Affront, der sogar unter Strafandrohung gestellt worden ist. Was man hier Putin vorwerfen kann, ist, dass er bei der Kungelei die Briten außen vor gelassen hat, denn die waren maßgeblich an dem üblen Spiel beteiligt.
Putin hat ja auch vor wenigen Tagen angekündigt, dass die russischen Archive, in denen bis jetzt brisante Akten unter Verschluss gehalten wurden, geöffnet werden sollen. Das wird den Polen, den Ukrainern und noch weniger den Briten gefallen. Aber es wird Zeit, dass endlich die ganze Wahrheit ans Tageslicht kommt. Die Wahrheit über all jene, die den Zweiten Weltkrieg angezettelt haben und so für die Vernichtung der Juden mit verantwortlich sind. Da bin ich sehr dafür, denn ich kann guten Gewissens sagen: Ich habe damit nichts zu tun!
Quelle des Gastbeitrages: AnderweltOnline.com
Titelbild: Gerd Altmann auf Pixabay
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